Dienstag, 18. Januar 2011

Mein Vater und die Aktion "Rettet den Possenturm"

Werner Kühn um 1955
1955 und in den folgenden Jahren war der Possenturm ständiges Thema in unserer Familie. Ich war damals 14 Jahre alt und besuchte die Oberschule in Sondershausen.


Mein Vater Werner Kühn arbeitete als Vorsitzender der Plankommission beim Rat des Kreises Sondershausen. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel auch das NAW (Nationales Aufbauwerk in der DDR) im Kreis Sondershausen. Mein Vater lebte nach festen Prinzipien und war auch im dienstlichen Bereich sehr engagiert mit hohem persönlichen Einsatz tätig.


1951 musste der Possenturm für den Besucherverkehr gesperrt werden. Teile des Holzfachwerkes im Unterbereich waren zerstört und der Turm neigte sich immer mehr, er drohte ein- bzw. umzustürzen.

Die maßgebenden Mitarbeiter in den staatliche Stellen und der Partei (SED) waren nicht an der Erhaltung des Turmes interessiert und stellten daher auch keine Mittel dafür zur Verfügung. Mein Vater stammte aus Leipzig und war in einer Umgebung aufgewachsen, in der Natur, Kultur, Tradition etc. eine große Rolle spielten. Insofern unterschied er sich von vielen seiner Mitarbeiter.
Turmneigung 1955

 Am Possenturm durchgeführte Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass der Turmkopf schon eine Verschiebung aus der Lotrechten von 80 cm besaß, die weiter zu nahm. Außerdem wurde festgestellt, dass der Turm ohne Verankerung auf dem Fundament stand, wodurch seine Kippsicherheit nicht mehr gewährleistet war.

Mein Vater nahm sich ab 1955 der Angelegenheit mit großem Elan an. Er organisierte Spendenaktionen, appellierte an die Kommunen des Kreises, an die übergeordnete staatliche Stelle beim Rat des Bezirkes Erfurt, veröffentlichte mehrfach in der lokalen Presse "Das Volk".

Ausschnit aus einer Spendenliste
In einem Schreiben von ihm an die Städte und Gemeinden des Kreises heißt es u. a.  " In den Amtlichen Mitteilungen sowie durch Plakate wurden Sie darauf hingewiesen, dass wir uns im Jahr 1956 die Aufgabe gestellt haben, im NAW das schöne Ausflugsziel unserer Heimat, den Possenturm,  wieder instand zu setzen ...Es wird uns aus interessierten Kreisen der Bevölkerung immer wieder  zugetragen, dass diese Aktion nicht genügend unter der Bevölkerung bekannt gemacht wird. Sie werden daher gebeten, durch den Stadtfunk den Wiederaufbau des Possenturms der Bevölkerung zur Kenntnis zu bringen. Die Bevölkerung ist zur Mitarbeit aufzufordern und besonders zur Abgabe einer Geldspende aufzurufen. In den übrigen Gemeinden bitten wir, die Aktion Possenturm  neben den im Ort gestellten Aufgaben besonders zu behandeln ..."

Mein Vater war es  auch gelungen, über gute persönliche Kontakte Lottomittel zu beschaffen, so dass nach mehrjähriger Vorbereitung an die Realisierung der Sicherungsarbeiten gegangen werden konnte. Auch dabei war er ständig involviert.

Artikel in "Das Volk" vom 5.1.1956
Man muss wissen, dass damals in der DDR eine solche Aktion verglichen mit heute eine wirkliche Herausforderung darstellte. Normalerweise arbeiteten die größeren volkseigenen Betriebe nach längerfristigen Plänen. Es war schwierig, für Maßnahmen, denen offiziell keine höheren Prioritäten zugewiesen waren, Kapazitäten  zu bekommen. Insbesondere aber war die Materialbeschaffung ein riesiges Problem. In vielen Fällen ging es nur mit "guten Beziehungen". Sie mussten auch hier an verschiedenen Stellen weiter helfen. 


Aus einem Gedicht des "Schwarzvertlers"
Die ersten und wichtigsten Sicherungsarbeiten wurden in den Jahren 1958 / 59  von der Firma Max Heyne aus Schernberg durchgeführt. Sie waren Voraussetzung für die Weiterexistenz  des Turmes und für weitere Arbeiten, die sich bis 1966 hin zogen. Erst danach wurde der Possenturm wieder für den Besucherverkehr frei gegeben.
Auch Karl Krieghoff (D'r Schwarzvertler, † 2.11.1984 ) unterstützte die Erhaltung des Possenturms. Er wirkte als Mundartdichter in Sondershausen und war in der Bevölkerung bekannt und beliebt. Seine Verse handelten vom täglichen Leben, vom Denken und Handeln der einfachen Leute.

Mein Vater spielte bei der Aktion "Rettet den Possenturm" eine entscheidende Rolle.  Er gab nicht nur den Anstoß für diese Aktion, sondern förderte und organisierte sie bis zum erfolgreichen Abschluss.

Mit Geduld und Zähigkeit verfolgte er dieses Ziel und engagierte sich dabei weit über den Bereich seiner beruflichen Pflichten hinaus.
Möglicherweise würde es den Possenturm ohne seinen Einsatz heute nicht mehr geben. Es war 5 Minuten vor zwölf, und eine andere Variante zu seiner Rettung war damals nicht in  Sicht.
Fa. Heyne bei der Arbeit
Von allen nachfolgenden Maßnahmen am Possenturm unterschied sich diese Aktion dadurch grundlegend, dass sie  staatlicherseits nicht gewünscht wurde und das Engagement dafür nicht auf der "offiziellen Linie" lag.

Auf Grund geänderter gesetzlicher Regelungen über den Aufbau des Staatsapparates musste mein Vater 1958 seine Tätigkeit beim Rat des Kreises aufgeben - er war "kaderpolitisch nicht mehr tragbar". So konnte er auf die weiteren Baumaßnahmen keinen Einfluss mehr nehmen. Das Thema verschwand ab dieser Zeit weitesgehend aus den Akten und der Presse.

Auf jeden Fall war aber das Hauptziel erreicht, der Turm gerettet und die Basis  für weiterführende Arbeiten geschaffen.


Ulrich Kühn